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Esther Bejarano zum 8. Mai:

von Esther Bejarano 

Den 8. Mai 1945, den Tag der Befreiung der Menschheit von der Geißel des Hitler-Faschismus, verbrachte ich mit amerikanischen und russischen Soldaten in dem mecklenburgischen Städtchen Lübz: die Soldaten holten aus einem Haus ein großes Hitler-Portrait, das auf einem Marktplatz verbrannt wurde. Meine Freundinnen, mit denen ich vom Todesmarsch geflohen war, tanzten mit den GIs und den Rotgardisten um dieses brennende Bild, und ich spielte Akkordeon dazu. Das werde ich nie vergessen. Ich sage immer: Das war meine zweite Geburt!

Doch schon wenige Tage später holte uns die Realität ein: zwar war der Krieg zu Ende, aber die menschenverachtende antisemitische und rassistische Ideologie ja noch in den Köpfen der Menschen. Auf unserem Marsch durch das Nachkriegsniemandsland von Lübz zum Kibbuz Buchenwald in der Nähe von Fulda hatten wir immer noch Angst, Nazis in die Hände zu fallen, denen wir ja völlig hilflos ausgeliefert gewesen wären.


Ich gehörte zu den so genannten deplaced persons. Deplaced heißt soviel wie „entheimatet“, also, Menschen, die keine Heimat mehr haben, entwurzelt sind. Ich war völlig entwurzelt. Es gab in diesem Land keinen Ort und keine Menschen mehr, wohin ich hätten gehen können: Keine Eltern – sie, meine Schwester und fast alle Verwandten waren von den Nazis ermordet worden – und kein Elternhaus. Kein Ort, nirgends.

Die Frage „Warum Israel?“ ist für mich deshalb ganz einfach zu beantworten: Wohin sonst? Damals wollte ich so schnell wie möglich zu meiner Schwester Tosca und deren Mann Hans Lebrecht nach Palästina. Im September 1945 bin ich in Haifa angekommen. Ich war 20 Jahre alt, und vor mir lag mein ganzes Leben.

In Palästina wollte ich ein Land aufbauen, in dem alle Menschen friedlich zusammen leben konnten. Eine Heimstätte, für die, die dort schon lebten, und Zufluchtsstätte für die verfolgten Jüdinnen und Juden dieser Welt. Die arabischen Einflüsse haben mich völlig fasziniert, und mich als Künstlerin inspiriert. Als Israel 1948 gegründet wurde, war ich glücklich. Das war mein Land, hier wollte ich die Lehren aus 12 Jahren Nazi-Diktatur umsetzen: Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus.Das war eine völlig naive Vorstellung, wie ich in einem sehr schmerzhaften Prozess lernen musste. Fortschrittliche Menschen wie Tosca und Hans sowie mein Mann Nissim und ich waren schon damals eine kleine Minderheit. Es waren jüdische Arbeitskollegen, die mir sagten: „Dich hat Hitler wohl vergessen zu vergasen“.

Trotzdem war und ist Israel meiner Ansicht nach bis heute wichtig als Heimstätte für verfolgte Jüdinnen und Juden.

Wir Jüdinnen und Juden brauchen Israel. Aber in den Grenzen von 1948! Die Palästinenserinnen und Palästinenser brauchen einen eigenen Staat, sie müssen Land dafür bekommen, und ihnen muss eine Wiedergutmachung gezahlt werden. Deshalb unterstütze ich die jüdische Stimme für einen gerechten Frieden.

Als ich 1960 mit meiner Familie nach Hamburg kam, hoffte ich, in ein demokratisches Land zu kommen, das seine Lektion aus dem Faschismus gelernt hatte. Auch das war naiv. Auch das musste ich in einem sehr schmerzhaften Prozess lernen. Schon bald waren wir mit alten und neuen Nazis konfrontiert.

Bis heute ist in der BRD diese wichtigste Lehre, das Verbot aller faschistischen Organisationen, nicht gezogen worden. Das ist zwar im Grundgesetz verankert, wird aber nicht umgesetzt. So lange Nazis marschieren können, werde ich nicht aufhören, gegen sie zu kämpfen. Auch wenn die NPD noch so sehr gegen mich hetzt und mir droht.


Wir leben trotzdemEsther Bejarano: vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden.Lesung mit Esther und mir anlässlich des 65. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus im Rahmen der Roten Möwe, So., 16. Mai 2010, 12 Uhr, Galerie der Schlumper

Kein Platz für Nazis und Rassismus in Hamburg - nicht in den Parlamenten, nicht im Stadtteil, nicht im Betrieb