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Der 1. Mai in Hamburg - Ein großer Erfolg der antifaschistischen Bewegung

Zeitschrift "antifa" der VVN BdA, von Wolfram Siede

 

Mit 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist der Protest gegen den Naziaufmarsch in Barmbek zur größten antifaschistischen Veranstaltung seit über einem Jahrzehnt in Hamburg geworden. „Mit so vielen Leuten haben wir nicht gerechnet,“ erklärte der Sprecher des Hamburger Bündnisses gegen Rechts.

Erinnern wir uns: Für den 1. Mai mobilisierten NPD und „Freie Nationalisten“ bundesweit nach Hamburg-Barmbek, um den internationalen Kampftag im Sinne ihres nationalsozialistischen Vorbildes zum „Tag der nationalen Arbeit“ umzudeuten. Gemessen an der Außenwirkung war der Aufmarsch für die Neonazis ein Fiasko – in der Berichterstattung dominierten die Protestaktionen und die Nazis konnten weder auf der ihnen zugesagten Route noch zur angemeldeten Uhrzeit marschieren. Etwa 200 Nazis erreichten erst gar nicht die Auftaktkundgebung, denn auf den Gleisen der S-Bahn brannten Barrikaden. Folge: Der Strom wurde abgestellt. Die Neonazis verharrten Stunden am Ausgangspunkt, bevor sie mit einem massiven Polizeieinsatz und auf stark verkürzter Strecke den Rückweg antraten. Während die Polizei am U/S-Bahnhof Ohlsdorf bemüht war, die Nazis schnellstmöglich in die Bahn zu bringen, wussten diese noch nicht, dass alle ihre Reisebusse bereits Glasbruch erlitten hatten – und bereits auf dem Heimweg waren.


Im wahrhaften Sinn des Wortes „auf der anderen Seite“ der Gleise blockierten über 10.000 Menschen die Route der Nazis. Unter dem Motto „Barmbek nimmt Platz“ blieb die Demo nach einigen hundert Metern einfach auf der Straße stehen und sorgte zusammen mit vielen ermutigten Anwohnern dafür, dass für die Nazis kein Durchkommen war. Die enorme Resonanz, die den Antifaschisten im Vorfeld und während der Demonstration in diesem wenig alternativen, jedoch stark migrantisch geprägten Stadtteil entgegen gebracht wurde, ist in der Auswertung des „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ denn auch die zentrale Erfahrung, an die es in Zukunft anzuknüpfen gilt. In nahezu jedem Geschäft auf der Fuhlsbütteler Straße hingen die Plakate der Initiative „Barmbek sagt Nein zu Neonazis“, unterzeichnet von 43 Sozialkulturellen Einrichtungen und Geschäften aus dem Stadtteil. „Besonders gefreut hat mich, dass sich so viele Menschen aus Barmbek den Protesten angeschlossen haben, erklärte Rainer Hanno, Pastor an der Auferstehungskirche. Dort, und in weiteren acht Kirchen läuteten Punkt 14.00 Uhr die Glocken als Zeichen des gemeinsamen Protestes. Barmbek war in Volksfeststimmung und den gesamten Tag über auf den Beinen. So war es über Stunden der Polizei nicht möglich, die Nazis vom S-Bahnhof Alte Wöhr gegen den Protest vieler tausend Demonstranten loslaufen zu lassen. 

Brutale Nazis griffen an

Ebenfalls neu, wenn auch auf der negativen Seite der Bilanz, war das militante Auftreten der so genannten „Autonomen Nationalisten“. Während diese Spielart des Neonazismus vor allem in den östlichen Bundesländern sowie in NRW Zulauf erhält, ist der so genannte „schwarze Block“ in der Hansestadt erstmalig derart offensiv und zahlenmäßig stark in Erscheinung getreten. Hier feiert man den eigentlich verhinderten Marsch „als Erfolg“ und das nicht nur als Schönfärberei. In der Sicht der Organisatoren besteht der Erfolg drin, dass sich erhebliche Teile der Nazidemo an organisierten Angriffen auf Gegendemonstranten und Journalisten beteiligten und dabei Polizeiketten durchbrachen. Die Naziszene bejubelt diesen Bruch mit der in den letzten zehn Jahren erzwungenen Zurückhaltung bei Demonstrationen als Fanal. Ausgehend von der bundesweiten Verbotsstrategie gegenüber Nazidemonstrationen in den 1980er und 1990er Jahren, die mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründet wurde, starteten die Freien Kameradschaften ab 1997 eine regelrechte "Demokampagne". 

BVG-Hilfe nun verspielt?
Unterstützt durch eine geschickte juristische Klagestrategie insbesondere der Hamburger Nazikader Christian Worch und Jürgen Rieger, kassierte das Bundesverfassungsgericht mehrfach die beschränkenden Auflagen, was zu einem Strategiewechsel bei Polizei und Versammlungsbehörden führte. Seit Anfang des Jahrzehntes stellen sich die Versammlungsbehörden der Länder nach der Lesart des so genannten „Bull-Gutachtens“ auf den Standpunkt, das sich Nazis auf ihren Demonstrationen an die Auflagen halten, während antifaschistische Proteste zunehmend nicht mehr als „Meinungsäußerung“, sondern vor allem als "Störpotential" und rechtlich unzulässige „Gegenveranstaltung“ gewertet werden. Im Jahr 2008, nachdem das Verbot der NPD zu den Akten gelegt wurde und Nazidemonstrationen zum bundesdeutschen Alltag gehören, erscheint den Nazis die legalistische Selbstbeschränkung nicht mehr notwendig. Unter der Selbstbezeichnung Autonome Nationalisten formiert in diesem Freiraum seit knapp 10 Jahren eine extrem gewaltorientierte- und aktivistische Strömung, die zudem sich die Symbol- und Erlebniswelt der autonomen antifaschistischen Bewegung angeeignet hat.

Was bleibt nach dem 1. Mai als Erfahrung zurück? Zunächst ist das bereits oben angedeutete zarte Pflänzchen der antifaschistischen Eigeninitiative im Stadtteil zu unterstützen und zu pflegen und damit auch das eigene Selbstverständnis über die begrenzten Politikformen und die Begrenzung auf die Szeneviertel zu überwinden. Zum anderen ist es hier zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder gelungen, ein politisch breit aufgestelltes Bündnis - angefangen von Gliederungen der SPD, der GAL, der Linkspartei sowie der Gewerkschaften, über soziokulturellen Einrichtungen und Anwohnerinitiativen bis hin zur autonomen und unabhängigen Antifa - einvernehmlich und mit verbindlichen Absprachen auf die Beine zu stellen. Und die Nachbereitung zeigt, dass sich alle Beteiligten bei aller Verschiedenheit in Zielen und Mitteln auf die Absprachen verlassen konnten. So ging zu keinem Zeitpunkt von der Demonstration irgendeine Eskalation aus, im Gegenteil! 

Klärungsbedarf in den Gewerkschaften 

Das Agieren der DGB-Führung, die ihre bereits angemeldete Demonstration verlegte, um eine möglichen Konfrontation mit den Nazis zu vermeiden, führte zu hitzigen Debatten in den Gremien und dazu, dass engagierte Gewerkschaftler in besonderem Maße die Aktionen des Hamburger Bündnisses gegen Rechts unterstützen. Vielleicht war es dieser besonderen Konstellation zu verdanken, dass sich die Autonome Antifa dazu veranlasst sah, deutlich stärker als in den vergangenen Jahren Rücksicht auf die Interessen eines breiten Bündnisses zu nehmen.

Die direkten Aktionsformen „der Autonomen“ auf der anderen Seite entlockten dem einen oder anderen Gewerkschaftler den einen oder anderen klammheimlichen Lacher. Auf sich alleine gestellt hätten diese Aktionsformen aber nicht ausgereicht, den Aufmarsch in die Schranken zu weisen. Zudem lauert hier die Gefahr, dass die wachsende Gewaltbereitschaft der Nazis im Sinne einer falschen und verkürzten Strategie einfach in Gegengewalt umgemünzt wird. Politische Verantwortlichkeit heißt dann eben auch, dafür Sorge zu tragen, dass das eigene Handeln vermittelbar bleibt und dass Unbeteiligte nicht zu Schaden kommen. So ereignete sich neben vielen zielgerichteten Aktionsformen leider auch das fatale Anzünden des Reifenlagers von Jean-Paul Toupka (47). 3000 Reifen gingen auf dem Gelände an der Bramfelder Straße in Flammen auf. Der Reifenhändler hatte zig Tausende Euro investiert und wollte die Altreifen exportieren. Die Ware war nicht versichert, Toupka steht vor dem finanziellen Ruin. 

Kein Platz für Nazis und Rassismus in Hamburg - nicht in den Parlamenten, nicht im Stadtteil, nicht im Betrieb