„Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus stellen nach wie vor die größten Bedrohungen für unsere Demokratie dar“, dies war wörtlich zitiert eine der Kernbotschaften bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts Hamburg für 2021.1 Der Abschnitt „Rechtsextremismus“ ist jedoch ein erneuter Beweis dafür, dass der Inlandsgeheimdienst, welcher sich gerne als „Frühwarnsystem der Demokratie“ verkauft, nicht funktioniert. Der Abschnitt wurde gegenüber 2020 um zwei Drittel gekürzt, bei der extremismustheoretischen Analyse wurden wissenschaftliche und sogar ministerielle Erkenntnisse ignoriert und das rechte Personenpotential wurde auf mindestens die Hälfte runter gekürzt. Vor zehn Jahren offenbarte sich mit der Selbstenttarnung des NSU ein eklatantes Versagen der Sicherheitsbehörden, allen voran des Verfassungsschutzes (VS). Die Konsequenz war jedoch nicht eine Abschaffung oder zivilgesellschaftliche Kontrolle des Geheimdienstes, sondern seine personelle, finanzielle und materielle Aufrüstung, die Erweiterung seiner Vernetzung mit anderen Behörden, seiner Kompetenzen und Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger*innen. Selbst gemessen an den eigenen Kriterien und der Extremismustheorie, die wir nicht teilen, ist der neue Bericht mindestens mangelhaft.
- Es beginnt ganz banal mit dem Umfang der Berichterstattung zum Bereich Rechtsextremismus. Der vorherige Bericht über das Jahr 2020 hatte ein entsprechendes Kapitel von 51 Seiten, jetzt sind es gerade mal 14 Seiten, eine Reduzierung um gut zwei Drittel. Auch 2019 wurde auf immerhin 44 Seiten über die neofaschistische Gefahr berichtet.
- Das Potenzial von 380 Rechtsextremist*innen habe sich gegenüber 2020 nicht verändert behauptet der Dienst, unterscheidet jedoch darin nur noch „gewaltorientierte“ Rechtsextremist*innen“ und solche die es nicht seien. In früheren Jahren wurde mindestens in parteigebunden; Strukturen, aber parteiungebunden und weitgehend unstrukturiertes Potential differenziert.
- Die von uns benutzte gendergerechte Analyse, Berichterstattung und Schreibweise über die extreme Rechte findet beim VS konsequent nicht statt. Entweder wurden hier seit Jahrzehnten wissenschaftliche Erkenntnisse zur Beteiligung von Frauen an Ideologiebildung, Strukturaufbau (Beate Zschäpe ist das bekannteste Beispiel) und reproduktiver Arbeit für neofaschistische Strukturen ignoriert, oder es liegt an der patriarchalen Führung von Innenbehörde und VS. Beides ist anachronistisch.
Thüringens Innenminister widerspricht Hamburger Verfassungsschutz
- Für die Berichterstattung über Querdenker*innen und Verschwörungsgläubige führte der Hamburger VS nun eigens eine neue Kategorie „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ ein. Diese sei nicht unter Rechtsextremismus zu subsumieren sondern existiere „sui generis“. Mit dieser durch nichts begründeten Behauptung widerspricht der VS wissenschaftlicher und fachjournalistischer Expertise und auch den Erkenntnissen des „ Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus“ (MBT) einer offiziellen Institution der Stadt Hamburg, die in ihren Monitorings regelmäßig darüber berichtet.2 Auch Thüringens Innenminister widersprach jüngst den Verfassungsschutzbehörden: „Sogenannte Corona-Leugner und Querdenker sollten nach Ansicht von Thüringens Innenminister Georg Maier konsequent dem rechten Spektrum zugeordnet werden.“ zitierte ihn Die Zeit.3 Von den Querdenker*innen gibt es sowohl personell als auch organisatorisch fast ausschließlich Verbindungen ins rechte Spektrum. Ideologisch lassen sie sich mit dem antisemitisch grundierten Verschwörungsglauben, dem egoistischen Sozialdarwinismus, der Wissenschaftsfeindlichkeit, dem Glaube an Führer mit „Geheimwissen“ und der Ablehnung von demokratischen Mehrheitsentscheidungen sowieso nur dort verorten. Auch in Hamburg versuchen NPD und AfD diese Gemeinsamkeiten mit der Szene strategisch zu nutzen.
- Mit der Schaffung dieser neuen Kategorie ergibt sich zwangsläufig eine Kleinrechnung des Rechtsextremismus. Obwohl extrem rechte Querdenker*innen in Hamburg über viele Monate Tausende von Menschen mobilisieren und indoktrinieren konnten und der VS immerhin drei Strukturen in Hamburg konkret benennt (UMEHR e.V., Querdenken 40 und Hamburg steht auf) ist er nicht mal annäherungsweise in der Lage ein quantitatives Personen-Potenzial anzugeben. Für die schon früher geschaffene, angeblich ebenfalls nicht dem Rechtsextremismus zuzurechnende, Kategorie „Reichsbürger und Selbstverwalter“ gibt der VS 290 Personen an (Verdoppelung gegenüber 2020). Rechnet man die Zahlen zusammen: 380 „offizielle“ Rechtsextremist*innen, plus 290 Reichsbürger*innen, plus X Delegitimierer*innen, so ergibt sich locker ein doppelt so großes Potential welches von Rechts die Demokratie gefährdet. Ob nun die mangelhafte Analyse ursächlich ist, oder es sogar gewollt ist, die braune Gefahr klein zu rechnen bleibt offen.
- Fast schon nebensächlich wirkt dann, dass den beiden neofaschistischen Hamburger Verbindungen keine Zeile mehr gewidmet wird. Im Bericht für 2020 gab es für die „Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg noch eine Seite, für die „Hamburger Burschenschaft Germania“ (HBG) zwei Seiten. Auch für deren Personen-Potenzial gibt es keine Angaben, nach eigenen Erkenntnissen hat die Germania ca. 60 aktive Burschen und Alte Herren und die Chattia ca. 10. Zwar heißt es im Bericht „Die sich als Gegenelite verstehende Neue Rechte versucht, mit ihren Konzepten und Strategien in die Mitte der Gesellschaft zu wirken, um den politischen Diskurs zu beeinflussen und schließlich zu prägen.“ Warum ausgerechnet die wichtigste Institution dieser Neuen Rechten, die HBG, wo Mitglieder der neofaschistischen Identitären auf Mitglieder aus CDU und AfD treffen und die in der Mitte der (akademischen) Gesellschaft gut vertreten ist, bleibt ein Geheimnis des Geheimdienstes. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte erst im Dezember 2020 festgestellt, dass die Einstufung der Germania durch den VS rechtmäßig ist.4
- Nicht nebensächlich ist jedoch, dass der Hamburger VS zwar die rechtsterroristische „Gruppe S“ kurz erwähnt, nicht jedoch die tiefe Verstrickung von drei Neonazis aus Hamburg und dem Umland darin. Gegen die Gruppe S läuft zur Zeit ein großer Terrorismus-Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, es geht um geplante Massenmorde mit Schusswaffen, die z.T. schon besorgt worden waren. Das ermittelnde LKA Baden-Württemberg hat gegenüber dem Richter den Verdacht geäußert, dass einer der norddeutschen Neonazis für einen Geheimdienst als V-Person gearbeitet hat.5 Inzwischen hat das Hamburger LKA bestätigt, dass sich dieser Thorsten Kempf seit Längerem in seinem Zeugenschutz-Programm befindet. Im Raume steht, dass Kempf im Gegenzug für seine Spitzeldienste vorgewarnt wurde, als eine Razzia durchgeführt wurde. Er hatte für ein entscheidendes Treffen der Terrorgruppe zugesagt, kam allerdings dann ohne Begründung doch nicht – alle anderen Beteiligten des Treffens wurden wenige Tage später festgenommen.6
Felix Krebs vom HBgR „Es zeigt sich erneut, dass der Verfassungsschutz untauglich ist, wenn es um die Bekämpfung der extremen Rechten geht. Er arbeitet intransparent und unwissenschaftlich, schützt seine V-Leute vor Strafverfolgung, rechnet die Gefahr von rechts klein und lässt sich nicht wirksam kontrollieren.“
Hamburger Bündnis gegen Rechts