Im April 2023 verhinderte eine ganz große Koalition von Grünen bis AfD einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA), der die Möglichkeit einer tiefergehenden Aufklärung der Hamburger Bezüge der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und das eklatante Versagen der Hamburger Ermittler*innen im Mordfall Süleyman Taşköprü hätte erhellen können. Der rot-grüne Senat setzt nun diese Linie fort. Er behauptet Aufklärung, die bei genauerem Hinsehen allerdings nur Bekanntes präsentiert, an den entscheidenden Stellen sich jedoch entweder ahnungslos gibt, oder tiefergehende Erkenntnisse verweigert. Diesen Schluss muss ziehen, wer sich intensiv mit dem Hamburger NSU-Komplex beschäftigt hat und nun die Antworten des Senates auf zwei Große Anfragen (GA) zum Thema liest. Die eine Anfrage wurde von den Regierungsfraktionen SPD und Grüne gestellt, die andere von der Linksfraktion, die immer noch einen PUA fordert. Die GA der Regierungskoalition fällt dabei zahmer aus im Gegensatz zu den wesentlich komplexeren und kritischeren Nachfragen der Opposition insb. zum institutionellen Rassismus innerhalb der Hamburger Sicherheitsbehörden.
In den Antworten zu den beiden GAen zeichnen sich die wesentlichen drei Grundzüge erneut ab, mit denen parlamentarische Aufklärung schon in der Vergangenheit in Hamburg mehr simuliert als wirklich betrieben wurde.
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Auf die Fragen welche die einseitigen, rassistisch konnotierten Ermittlungen im Mordfall Taşköprü von 2001 bis 2011 zum Thema haben, verweist der Senat fast immer auf den Generalbundesanwalt (GBA), der formal das Verfahren führte und verweigert die Antworten.
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Wirklich neue Erkenntnisse zu neonazistischen Netzwerken im Allgemeinen, zu Verbindungen des NSU nach Hamburg und zu möglichen Verstrickungen des Verfassungsschutzes und seinen neonazistischen V-Leuten verweigert der Senat mit Verweis auf Geheimhaltungspflichten und einer angeblichen Gefährdung des Staatswohles. Erneut ist der Schutz von Nazi-Spitzeln wichtiger als die Aufklärung der größten rechten Mordserie in Deutschland.
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Viele konkrete Fragen in den GAen werden mit Verweis auf andere Parlamentsdokumente beantwortet, die, liest man hier dann nach, auch von Auskunftsverweigerung geprägt sind.
Auf einzelne Fragekomplexe angewandt lassen die Senatsantworten folgende Schlüsse zu:
Nazi-Netzwerke – nur Altbekanntes
Bezüglich der Aufklärung von (älteren) Neonazi-Netzwerken in Hamburg, ihren Protagonist*innen, ihren Verbindungen, ihren ideologiebildenden Funktionen, strategischen Einflüssen und ihr mögliches Fortwirken in die heutige extreme Rechte, präsentiert der Senat mittels seiner Sicherheitsbehörden keinerlei neue Erkenntnisse. Die Antworten geben nur das wieder, was in älteren Verfassungsschutzberichten steht, was sowieso schon durch Fachliteratur, durch journalistische oder antifaschistische Recherchen bekannt war. Tiefergehende Fragen blockiert der Senat mit Verweis auf angebliche Nichtzuständigkeit oder Geheimschutz. Darunter die durchaus relevante Frage, woran das Verbot des gut 10 Jahre wirkenden, größten Neonazi-Netzwerks im Norden, des „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland“ (NSAN) 1999 scheiterte. (Drucksache 22/11825; Antwort 4) Es scheiterte an dem Schutz mindestens eines V-Mannes.1
Ein weiteres Beispiel für, euphemistisch ausgedrückt, große Ahnungslosigkeit: Der Senat behauptet ihm seien Bezüge des Nazi-Terroristen Manfred Roeder, mitverantwortlich für den Tod von zwei Menschen, zur Bundeswehr nicht bekannt.(22/11825; 7) Eine einfache Google-Recherche verweist auf folgenden Artikel des NDR „Minister unter Druck - Neue Enthüllungen zum Bundeswehrskandal“ in dem es heisst ,Roeder „der einen unfaßbaren Skandal in der deutschen Bundeswehr auslöste“.2
Schutz von Polizei und Staatsanwaltschaft vor unbequemen Fragen
Bezüglich der Fragen zu den einseitigen und tendenziell rassistischen Ermittlungen im Mordfall Taşköprü, welche auch die Familie des Opfers verdächtigten, gibt es mit Verweis auf den GBA ebenfalls keinerlei neue Antworten.
Seit Jahren bleibt der Senat redundant bei seiner Behauptung, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten ergebnisoffen in alle Richtungen, auch in die Richtung neonazistischer/rassistischer Mordserie ermittelt. Dabei hatte die SPD-Abgeordnete Eva Högl im PUA des Bundes schon vor Jahren festgestellt „dass wir in den Akten nicht an einer einzigen Stelle finden, dass es um Rechtsextremismus, fremdenfeindlichen Hintergrund oder irgendetwas“ gegangen sei. (22/11825; 58) Högl hatte Einblick in die Hamburger Ermittlungsakten, im Gegensatz zu den Hamburger Abgeordneten, und deshalb kann der Senat jetzt hier auch so dreist alternative Wahrheiten verbreiten. Seine Behauptungen sind ohne PUA nicht überprüfbar.
Unbeantwortet bleibt die Frage nach vier „Hinweisen auf Bezüge mit extremistischen Hintergrund“ welchen die Ermittler damals nachgegangen sind. (22/11825; 61) Würde die Frage detailliert beantwortet werden, so würde sich herausstellen, dass die Ermittler hier nicht in Richtung Rechts ermittelten, wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Senat gerne insinuieren möchten, sondern Richtung „Ausländischer“ Extremismus“, also PKK und Graue Wölfe zum Beispiel.
Selbst die Bezeichnung des Opfers als „Schmarotzers“ wird vom Senat weiterhin falsch dargestellt. (22/11825; 66) Sie hatte ihren Ursprung zwar in einer Zeugenaussage, wurde in der „Operativen Fallanalyse“ (OFA) der Ermittler jedoch unkommentiert unter der Kategorie „Sozialverhalten“ übernommen. Hätte das 10-köpfige Ermittler*innen-Team auch Menschen mit Migrationshintergrund umfasst, wären solche Beleidigungen und einseitigen Ermittlungen wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Zu der Zusammensetzung des Teams äußert sich der Senat jedoch ebenfalls nicht.(22/11825; 29)
Dies sind nur einige Beispiele für ausweichende, verschleiernde, ungenügende oder gar falsche Antworten des Senats.
Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts: „Wer mit Detailkenntnis die 143 Antworten des Senats auf die beiden Großen Anfragen liest, muss feststellen: Es wird weiterhin Altbekanntes präsentiert, es wird sich hinter Behörden außerhalb Hamburgs versteckt, es wird gemauert und Ahnungslosigkeit vorgeschoben und gelegentlich wird sogar dreist die Unwahrheit verbreitet. Eine Kontrolle der Senatsbehauptungen durch vollständige Akteneinsicht oder Zeug*innen-Vorladungen bleibt den Abgeordneten mangels PUA weiterhin unmöglich. Grüne und SPD haben es so gewollt.“
1) https://taz.de/Rechtsextreme-werden-in-Ruhe-gelassen/!5058743/
2) https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/1997/Minister-unter-Druck-Neue-Enthuellungen-zum-Bundeswehrskandal,erste6882.html
Quellen:
Drucksache 22/11825
Drucksache 22/11841