scharf-links, Frank Behrmann
So eben hat die Universität Leipzig eine neue Studie über rechtsextreme Einstellung in Deutschland veröffentlicht (1). Die beiden zentralen Ergebnisse sind einerseits der Rückgang rechtsextremer Auffassungen gegenüber vorherigen Befragungen, die seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführt worden sind. Andererseits weisen die WählerInnen der Alternative für Deutschland (AfD) signifikant höhere Zustimmungswerte zu entsprechenden Aussagen auf.
Befragt wurde zu sechs einschlägigen Themenkomplexen. 2014 befürworteten 3,6 Prozent aller Befragten eine autoritäre Diktatur, 2002 waren es noch 7,7 Prozent. Nationalchauvinistische Einstellungen verrieten in diesem Jahr 13,6 Prozent gegenüber 18,3 Prozent zwölf Jahre zuvor. Ausländerfeindlich eingestellt waren immer noch 18,1 Prozent (2002: 22,4 Prozent), antisemitisch dachten 5,1 Prozent (2002: 9,3 Prozent), Sozialdarwinismus wurde von 2,9 Prozent gutgeheißen (2002: 5,2 Prozent) und den Nationalsozialismus verharmlosten 2,2 Prozent gegenüber 4,1 Prozent 2002.
Von einer „manifest rechtsextremistischen Einstellung“ sprachen die Leipziger SozialwissenschaftlerInnen 2002 noch bei 9,7 Prozent der Befragten, jetzt sind es „nur“ noch 5,6 Prozent. Auffällig sind die Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern: Noch 2002 lag hier der Westen mit 11,3 Prozent RechtsextremistInnen gegenüber 8,1 Prozent im Osten vorn. Inzwischen hat sich das Bild verschoben, im Westen wurden rechtextremistische Einstellungen bei 5,2 Prozent der Bevölkerung gemessen, im Osten sind es 7,4 Prozent.
Ob das an Divergenzen durch ein zu geringes Befragtencluster – 2400 Befragte insgesamt – liegt? Oder daran, dass im Osten weiterhin mehr Bewegung auch bei den Grundüberzeugungen besteht? Für Letzteres spräche, dass der Anteil Rechtsextremer an den Befragten noch 2012 (als Folge der Währungskrise?) auf 15,5 Prozent hochgeschossen war. Auch einer der Herausgeber der Studie, Oliver Decker, sieht einen Zusammenhang zwischen seinen Ergebnissen und der momentan guten Wirtschaftslage: „Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich bildlich gesprochen in einer Insellage. Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung ist mit Wirtschaftswachstum und Exportsteigerung so gut wie seit Jahren nicht mehr.“
Die Werte variieren bei einzelnen Status- und Bevölkerungsgruppen teils erheblich. So scheint zu gelten, dass je höher die Bildung, desto geringer die Zustimmung zu rechtsextremen Positionen ist. Frauen vertreten solche Anschauungen etwas weniger als Männer. Beim Alter ist das Bild uneinheitlich; Jüngere sind zwar weniger rassistisch und chauvinistisch als Ältere, neigen aber stärker zur Befürwortung einer Diktatur oder des Sozialdarwinismus. Der Rassismus findet unter Arbeitslosen und RentnerInnen die meisten BefürworterInnen, bei Auszubildenden und SchülerInnen die wenigsten – ähnlich sieht es beim Chauvinismus und dem Zuspruch zu einer Diktatur aus.
Bilanzierend ziehen die Autoren eine positive Bilanz, da die „Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen insgesamt“ abnimmt. Decker warnt aber auch: „Die Empfänglichkeit für die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist weiterhin vorhanden.“ Die deutsche Wirtschaft „ist zu so etwas wie einer nicht hinterfragbaren Autorität geworden. Wenn sie stark ist, freuen sich die Menschen. Aber trotzdem müssen sie sich ihr unterordnen, und das produziert Aggressionen, die sich dann gegen Abweichende oder Schwächere richten.“
Bereits Anfang des Jahres kam eine Allensbach-Studie zu dem ähnlichen Ergebnis, dass beim Thema Einwanderung mehr Gelassenheit Einzug gehalten habe. Die Meinung, Deutschland könne keine weitere Einwanderung verkraften, vertraten 2004 42 Prozent der Befragten, 2014 aber nur noch 18 Prozent. Allerdings kam auch Renate Köcher für Allensbach zu dem Schluss, dass diese Entwicklung wesentlich auf die positive wirtschaftliche Entwicklung zurückgehe – und also, mag man sich denken, fragil ist. Einwanderer würden dadurch „weniger als Konkurrenten, sondern zunehmend als wichtige Ressource für die deutsche Wirtschaft gesehen“. (2)
Rechtsextreme Einstellung stärker bei der AfD vertreten
Und dennoch gebe „es auch heute in einem nicht unbeträchtlichen Anteil der Bevölkerung Besorgnis und Abwehrhaltungen“. Und dies gelte „weit überdurchschnittlich“ für AfD-AnhängerInnen – „fast jeder zweite vertritt die These, dass Deutschland keine weitere Einwanderung mehr verkraften könne“. 68 Prozent von ihnen wünschten, dass Deutschland auf Einwanderung völlig verzichte. „Von zunehmender Gelassenheit kann in dieser politischen Gruppierung nicht die Rede sein.“
Auch die Leipziger Studie stellt überdurchschnittlich hohe Zustimmungswerte zu rechtsextremen Meinungen bei AfD-WählerInnen fest; sie werden dabei nur von den WählerInnen faschistischer Parteien deutlich übertroffen.
Für eine Diktatur votierten von den Anhängerinnen von CDU/CSU, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei zwischen 0 und 2,9 Prozent, bei der AfD sind es 7,7 Prozent
• Chauvinismus: Etablierte 6 bis 14,5 Prozent, AfD 28,9 Prozent
• Rassismus: Etablierte 6 bis 17,9 Prozent, AfD 23,3 Prozent
• Antisemitismus: 0 bis 5,3 Prozent, 13,5 Prozent
• Sozialdarwinismus: 0 bis 4 Prozent, 1,9 Prozent
• Verharmlosung des NS 0 bis 3 Prozent, 11,5 Prozent.
„Es fällt allerdings auf, dass die stärkste Anziehungskraft bei den Wählern mit einer ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellung neben den rechtsextremen Parteien die AfD hat“, so der Mitarbeiter der Studie Johannes Kiess.
Die rechtspopulistische Versuchung
Gegenüber der bürgerlichen Öffentlichkeit gibt sich die AfD einwandererfreundlich. Man sei für Einwanderung, wird die Partei zu betonen nicht müde. In den Bedingungen, von denen sie Einwanderung abhängig zu machen gedenkt – sie muss nützlich für Deutschland sein -, ist der Verwertungsrassismus bereits eingeschrieben. Hier besteht allerdings kaum eine reale Differenz zu CDU/CSU oder SPD.
Und deshalb hält die AfD weitere Parolen bereit, die RassistInnen problemlos als Zustimmung verstehen können. „Wir sind nicht das Weltsozialamt“, heißt es da. Oder: „Einwanderung braucht klare Regeln!“ Da es aber (restriktive) Regeln für Zuwanderung gibt, kann das nur heißen, dass die AfD andere – schärfere – Regeln einführen will.
Die Führungsriege der AfD um Bernd Lucke will ihre bürgerliche Reputation nicht aufs Spiel setzen, zumal sie längerfristig auf eine Regierungsbeteiligung schielt. Da wäre ein Radau-Rassismus nicht hilfreich. Dennoch dürfte der Zuspruch, den die Partei bei dieser Thematik immer wieder erfahren hat, wo sie auf die bürgerlich-biedere Fassade verzichtete, eine große Versuchung darstellen, mittels rechtspopulistischer Parolen Menschen an sich zu binden. Speziell die anstehenden Wahlkämpfe in drei ostdeutschen Bundesländern werden zeigen, wie weit die Partei beim Angeln von Wählerstimmen zu gehen bereit ist.
(1) Die stabilisierte Mitte – rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014:
www.zv.uni-leipzig.de/service/presse/nachrichten.html?ifab_modus=detail&ifab_id=5531
(2) Renate Köcher: Mehr Gelassenheit beim Thema Einwanderung, FAZ, 20.2.2014