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zuerst veröffentlcht auf publikative.org, Felix Krebs

Am 26. Juni wird in Hamburg eine Straße in der Nähe zum Tatort in Gedenken an das Hamburger NSU-Opfer in Süleyman-Tasköprü-Straße umbenannt. Einen Tag später jährt sich der dritte Mord des Terrornetzwerkes zum 13. Mal. Der Mord hätte schon 2005 aufgeklärt werden können, hätten alle Ermittler ihre Arbeit richtig gemacht.
2005 stellten die Ermittler fest, dass an verschiedenen Tatorten der bis dahin ungeklärten, so genannten Ceska-Mordserie Radfahrer von Zeugen beobachtet wurden. So beim Mord an Enver Simsek 2000 in Nürnberg, als auch beim Mord an Habil Kilic 2001 in München. Beim Mord an Ismail Yasar 2005 ebenfalls in Nürnberg, wurden die verdächtigen Radfahrer sogar von mehren Zeugen beobachtet und Phantombilder erstellt. Außerdem stellte die Polizei fest, dass bei dem Nagelbombenanschlag 2004 in der Kölner Keupstraße ebenfalls Fahrräder benutzt wurden.
Vor allem aber fiel dem Kölner Ermittler Markus Weber beim Betrachten der Nürnberger Phantombilder auf, dass sie Bildern einer Überwachungskamera an der Keupstraße ähneln. Er meldete sich sofort in Nürnberg. Auch eine Zeugin aus Nürnberg identifizierte 2006 umgekehrt eine Person aus der Kölner Überwachungskamera als einen Verdächtigen im Mordfall Yasar.

In Hamburg berichtete das Abendblatt schon im Juni 2005 unter dem Titel „Sieben Tote, eine Waffe – die Spur des Mörders“ über diese Parallelen. Die Hamburger Ermittler legten Phantombilder aus dem Mordfall Yasar dann auch dem Vater von Süleyman Tasköprü bei einer erneuten Zeugenvorladung am 18. Oktober 2005 vor. Ali Tasköprü hatte den Tatort, einen kleinen Lebensmittelladen, am 27. Juni 2001 nur kurz verlassen um Oliven zu kaufen, als er zurück kam, fand er seinen sterbenden Sohn. Er hatte in einer ersten Zeugenaussage noch am Mordtag selbst gesagt, er hätte am Tatort zwei Deutsche gesehen. Zwar nicht mit Fahrrädern, aber ca. 25 – 30 Jahre alt, männlich und ca. 180 cm groß. Nun gab er dem ermittelnden Beamten bei der Bildvorlage zur Antwort, „diese Person hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einer der Personen, die ich vor dem Geschäft wahrgenommen habe.“
Vier Jahre nach der Tat konnte Vater Tasköprü verständlicherweise keine präzisen Angaben mehr machen, aber es war eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die auf mindestens vier der NSU-Morde zutraf. Alle sieben bis dahin Ermordeten waren Migranten, wurden an ihrem Arbeitsplatz ermordet und bei allen wurde dieselbe Waffe, eine tschechische Ceska-Pistole, benutzt. Und nun wurden mehrfach entweder die Radfahrer oder aber eine Ähnlichkeit mit dem Phantombild festgestellt.
Die „Besondere Aufbauorganisation (BAO) Bosporus“, welche die bundesweiten Ermittlungen seit Juni 2005 koordinierte, legte am 30. November des Jahres einen Sachstandsberichts vor. In diesem wurden die beiden Radfahrer dann eindeutig als die Mörder von Ismail Yasar benannt. „Gegen 10.00 Uhr stellten sie die Fahrräder am Stand ab, betraten den Dönerstand und fanden YASAR stehend hinter dem Tresen vor. Einer der Täter schoss nun zwei Mal in Richtung des Kopfes …“ In der Zusammenfassung des damaligen Berichts heißt es auch, „erstmals konnten die Täter beim Tötungsdelikt Yasar von mehreren Zeugen konkret beschrieben werden.“ Die Spur Radfahrer/Phantombild sollte aber trotzdem in der Zusammenfassung der Ermittlungen zur bundesweit einmaligen Mordserie keine Rolle mehr spielen. Die BAO Bosporus empfahl 2005 weiter im Bereich der organisierten Kriminalität zu recherchieren.
Auch die Hamburger Mordermittler hielten alle Jahre hartnäckig an der These der Organisierten Kriminalität (OK) fest, ermittelten im türkisch-kurdischen Milieu, im Bereich „Ausländerextremismus“, Rauschgiftdelikte und intensiv im unmittelbaren Umfeld des Opfers. Auch in Hamburg wurden geradezu aberwitzige Spuren verfolgt, so wurde im April 2008 sogar ein Wahrsager aus dem Iran eingeflogen, um mit dem Mordopfer im Jenseits Kontakt aufzunehmen. Die Spur des Radfahrers auf dem Phantombild wurde jedoch auch in der Hansestadt nicht weiter verfolgt. Sonst hätte man auch weitere Bilder der Überwachungskamera aus Köln gesichtet, wie erst 2013 durch einen Anwalt der Nebenklage angeregt, auf denen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrmals zu erkennen sind. Man wäre schnell auf mutmaßlich deutsche Täter und dann auch auf die untergetauchten, polizeibekannten Neonazis gekommen, nach denen Zielfahnder schon gesucht hatten.
Ergebnisoffen in alle Richtungen ermittelt?

Die Hamburger Ermittler behaupten redundant, sie hätten offen in alle Richtungen ermittelt. Auch der Bericht „Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) Ermittlungen, Aufarbeitung, Konsequenzen in Hamburg und in der Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder“, den der Hamburger Senat am 29. April 2014 vorstellte, nimmt die Beteiligten in Schutz. „Die ergebnisoffenen Ermittlungen der EG 061 (später Soko 061) umfassten auch die Ermittlungshypothese rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher oder anders politisch motivierter Tathintergründe.“ Doch stimmt diese Bewertung? In dem 87-seitigen Senatsbericht gibt es dafür jedenfalls keinen Quellenbeleg.
In Abschnitt 3.2. findet sich zwar der Satz: „In Hinsicht auf die o. g. Einzeltätertheorie (gemeint ist die Theorie des bayrischen Profilers Horn, der 2006 erstmals in einer Operativen Fallanalyse vermutete, dass es ein, oder wenige Täter seien, die aus Fremdenhass handeln – F.K.) überprüfte die SOKO 061 gezielt vier Hinweise auf Bezüge mit extremistischem Hintergrund“. Der Präfix „rechts“ fehlt hier wohl nicht grundlos vor dem Adjektiv „extremistisch“. Die Einzeltätertheorie wurde von den Hamburger Ermittlern im bundesweiten Ermittlungsverbund BAO Bosporus am heftig kritisiert. Man konzentriert sich in Hamburg immer einseitig auf die „Organisationstheorie“, also eine Verortung im kriminellen Milieu.

In den Akten keine Silbe zu Rechtsextremismus
Die im März 2006 gebildete EG 061 (Ermittlungsgruppe) war aus 10 Mitarbeitern, davon 6 aus dem LKA 6 (OK-Abteilung), zwei aus dem LKA 4 (Kapitaldelikte) und je eine Person aus der Mordkommission, dem Raubdezernat und LKA 7 (Staatsschutz) zusammengesetzt. Stellvertretender Leiter der EG war Felix S., gleichzeitig auch stellv. Leiter der Abteilung für OK und Leiter der Rauschgiftermittlungen. Komissaroberrat Felix S. wurde am 14. Juni 2012 mehrere Stunden lang im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages (PUA) zu den Hamburger Ermittlungen befragt. Die PUA-Mitglieder kannten, im Gegensatz zu den Hamburger Abgeordneten heute, die Ermittlungsakten aus Hamburg und konnten Kriminaloberrat S. entsprechende Vorhaltungen machen. So fragte denn auch die SPD-Obfrau Eva Högl: „Deshalb frage ich Sie noch mal: Ist das üblich, dass Sie sagen: ‚Im Fokus stand fremdenfeindlicher Hintergrund der Täter; wir haben alles getan in Richtung Rechtsextremismus’, dass wir dazu nicht eine Silbe in den Unterlagen haben? Ist das üblich?“
In den Akten fand der PUA also auch keinen Beleg für die Ermittlungshypothese rassistischer oder neofaschistischer Tathintergrund. Der Hamburger Verfassungsschutz leistete ebenfalls keinen Beitrag, er kannte die Mordserie nur aus den Medien. 2006 gab es ein einziges Treffen des Geheimdienstes mit den Hamburger Ermittlern. Wie VS-Chef Manfred Murck dem Abendblatt im Dezember 2013 erläuterte, ging es dabei um mögliche Täter aus dem Bereich „Ausländerextremismus“. Dass ein den Behörden bekannter Rechtsextremist zum Tatzeitpunkt in der Schützenstraße gemeldet war, wurde auch erst nachträglich bekannt. Vor November 2011, als der NSU zufällig aufflog, hatte man solche Meldedaten nicht überprüft.
Selektive Wahrnehmungen
Laut Senatsbericht wurden alleine von 2006 bis 2011 „2300 Personen überprüft, mehr als 150 Altspuren (Ermittlungen der Mordkommission), mehr als 300 neue Spuren sowie 80 weitere Hinweise bearbeitet, sowie mehr als 450 Vernehmungen durchgeführt.“ Eine beachtliche Zahl. Doch wurde bei den Vernehmungen auch gezielt nach Neonazis, Rassisten oder Fremdenfeinden als Tätern gefragt? Familie Tasköprü wurden keine entsprechenden Fragen gestellt, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass weitere Vernommenen entsprechend befragt wurden. Und wenn Zeugen doch mal ungefragt entsprechende Motive vermuteten, sorgten die Beamten dafür, dass hier nicht weiter ermittelt wurde. Von den mindestens drei Zeugenaussagen, in denen Rassisten oder Neonazis als mögliche Täter vermutet wurden, mag die Aussage von Ali S.T. als Beispiel
dienen.
„Wenn
ich von neun Morden an acht Türken und einem Griechen höre, alle hatten ein kleines Gewerbe. Es kann sich nicht um Morde aus Ehrverletzung handeln. Also nicht, weil die Frau oder Schwester ehrverletzt wurde. Ich glaube auch nicht, dass es ein Auftragskiller ist. Was soll ein Auftragskiller bei einem Schneider, Internet-Cafe-Betreiber, Kioskbesitzer, Döner-Imbiss-Betreiber usw. Dann müsste der Killer sehr bekannt sein. Vielleicht ist es ein Rassist. Ein Nazi, der Türken und Ausländer hasst …. Ich glaube nicht, dass es mit Drogen zu tun hat. Darauf gebe ich nicht mal 1% … Ich glaube auch nicht, dass die PKK oder die Grauen Wölfe dahinter stecken. Die PKK wäre so mächtig, die Grauen Wölfe nicht“
Damit kam der Zeuge im April 2006 der Wahrheit schon ziemlich nahe. In den einseitigen Ermittlungen wurden jedoch selbst die Zusammenfassungen solcher Zeugenaussagen dem eigenen Vorurteil der Ermittler angepasst: Dort schrieben die Polizisten: „Keine Aussage von Substanz zum Motiv; PKK hätte die Macht für eine solche Serie – die Grauen Wölfe nicht.“

“Keine Zeugenaussagen”?
Die präjudizierenden Thesen der Ermittler hielten sich beim zuständigen Generalstaatsanwalt Lutz von Selle sogar längst noch nach dem Auffliegen des NSU. Im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft erklärte er im April 2013 die Staatsanwaltschaft sei „Herrin des Verfahrens“ gewesen und man hätte nachträglich noch drei mal alle Akten zum Mordfall Tasköprü durchgesehen. Auf die Frage des Abgeordneten Kazim Abaci (SPD), ob man da auf Zeugenvermutungen gestoßen sei, die Täter könnten einen rechtsextremistischen Hintergrund haben, antwortete von Selle „dass sich in dem uns vorliegenden Aktenmaterial keine Zeugenaussage befindet, die in etwa diesen Inhalt hatte, wie Sie ihn formuliert haben, sprich, keine Vermutung dahingehend, dass diese Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund habe.“
Der erwähnten Senatsdokumentation wird vorangestellt, dass sie einer „vergleichbaren Darstellung im Untersuchungsbericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses“ entspräche; man möchte den NSU-Komplex in Hamburg gerne abschließen. Doch auch dieses ist eine haltlose Behauptung, denn die Erstellung des Berichtes unterlag keiner parlamentarischen Kontrolle. Erstellt haben ihn diejenigen, welche für Versäumnisse, Fehler und Vertuschungen verantwortlich waren oder ihre Nachfolger. Kritische Abgeordnete der Oppositionsparteien waren daran nicht beteiligt, sie können die Aussagen bis heute nicht anhand der Akten überprüfen oder Zeugen aus den beteiligten Behörden vorladen, wie in einem PUA üblich.
Und so finden sich in dem Senatsbericht auch viele Auslassungen oder Ungenauigkeiten. Da wird Vater Tasköprü, der wichtigste Zeuge am Tatort mit den Worten wiedergegeben „zwei nicht südländische, sondern eher blonde Männer“ seien vor Ort gewesen. Im Zeugenprotokoll vom Mordtag sagte er jedoch wesentlich präziser auf die Nachfrage „Deutsche oder Türken“, „Deutsche“. Im dem Kapitel 6.4.2. in dem unter anderem erörtert wird, ob es möglicherweise strukturellen Rassismus bei den Hamburger Ermittlern gegeben habe, wird dieses verneint. Unterschlagen wurde jedoch neben weiteren Indizien, dass das Mordopfer in einer Operativen Fallanalyse von den Hamburger Ermittlern unter Sozialverhalten mit dem Wort „Schmarotzer“ gebrandmarkt wurde. Eine rassistische Beleidigung, die auch in der türkischen Zeitung Hürryet scharf kritisiert wurde.
Am schlimmsten bleibt jedoch die Erkenntnis, dass die Ermordung Süleyman Tasköprüs, wie auch die anderen Morde, schon 2005 hätten aufgeklärt – und damit die noch folgenden Morde verhindert können, wenn die Ermittler in Hamburg, Köln und den anderen Tatorten vorurteilsfreie Arbeit geleistet hätten – und nicht „die Möglichkeit eines rechtsextremen Hintergrunds der Taten ausblendeten“ (Frank Jansen, Tagesspiegel).

Quelle