von Lothar Zieske
Seit einigen Jahren lädt das Auschwitz-Komitee in Hamburg nicht nur anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht, sondern auch zum Holocaust-Gedenktag zu Veranstaltungen ein. Der Veranstaltungsort wird vom „Polittbüro“ kostenlos zur Verfügung gestellt, ein Entgegenkommen, das die Vorsitzende des Komitees, die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, in ihren einführenden Worten zu Recht als praktizierte Solidarität würdigte. Sie kam dann aber gleich auf die Fallen zu sprechen, den der deutsche Kalender bereit halte: Die Veranstaltung fand an einem 30. Januar, dem 78. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler, statt. Der Vortag wäre, wie es dann weiter hieß, auch kein besseres Datum gewesen, dann da hatte in Harburg eine Kundgebung von Nazis stattgefunden.
Als Gast für seine Veranstaltung hatte das Auschwitz-Komitee in diesem Jahr Gabriel Bach, einen der Ankläger im Eichmann-Prozess, eingeladen.
Es ist kennzeichnend für das politische Selbstverständnis des Auschwitz-Komitees, dass vor dem Hauptprogramm für die Teilnahme an Blockaden in Dresden und danach um rege Beteiligung an Aktivitäten gegen eine für den 12. Februar auf dem Gänsemarkt angekündigte Nazi-Kundgebung geworben wurde.
Bevor der Hauptredner zu Wort kam, wurde eine Powerpoint-Präsentation gezeigt, die eine Gruppe junger ver.di-Mitglieder erarbeitet hatte, die – wie schon einige andere zuvor – in die Gedenkstätte (das „Muzeum“) Auschwitz gefahren waren und eine Woche in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte verbracht hatte. Zwei Teamer sowie ein junger Mann, der dort ein freiwilliges soziales Jahr zugebracht hatte, berichteten über ihre Erfahrungen.
Im Publikum mag zu diesem Zeitpunkt mancher schon ungeduldig geworden sein, denn Gabriel Bach hatte ja immer noch nicht zu sprechen begonnen. Sein Auftritt wurde vorbereitet durch einen Ausschnitt aus dem Film „Der Ankläger“ (2010), der vor einem Jahr im Fernsehen gelaufen war und kürzlich wiederholt wurde. Seine Person und der Eichmann-Prozess waren den Anwesenden damit schon ein wenig nahegebracht.
Dann folgte Bachs sehr persönlicher Vortrag, mit dem er sein Publikum ganze 1 ¼ Stunden lang fesselte. Der 83-jährige Mann hielt ihn, an einem Tisch stehend, und wirkte nach der anschließenden Pause, während derer er von verschiedenen Personen angesprochen worden war, frisch und präsent.
Er begann autobiographisch. Gabriel Bachs Familie war 1927 – da war er gerade einmal zwei Monate alt – von Halberstadt nach Berlin gezogen. Dort besuchte er dann – Ironie des Schicksals – die Theodor Herzl-Schule am Adolf-Hitler-Platz. Kurz vor der Reichspogromnacht floh die Familie in die Niederlande und von da, im Frühjahr des Jahres 1940 – einen Monat vor dem Einmarsch der Wehrmacht – ins damalige Palästina. Bach stellte später fest, dass dieser Einmarsch sieben Mal verschoben worden war und dass von seinen jüdischen Mitschülern in den Niederlanden außer ihm kein einziger überlebt hatte. Das Schiff – „Patria“ -, mit dem sie geflohen waren, war auf seiner nächsten Fahrt versenkt worden.
Der Eichmann-Prozess war in verschiedener Hinsicht ungewöhnlich, angefangen damit, dass der Angeklagte zuvor entführt worden war und dass einige Zeugen der Verteidigung aus Furcht, selbst zur Verantwortung gezogen zu werden, nicht vor Gericht erscheinen konnten. Auch waren die gesetzlichen Grundlagen, auf denen die Anklage gegen Eichmann beruhte, erst 1950 geschaffen worden. In einem anschließenden Podiumsgespräch nahm Bach zu diesen Punkten ausführlich Stellung und entkräftete sie.
Den Hauptteil seiner Ausführungen füllten Details aus dem Prozess, die – wie er selbst sagte – traumatisierende Wirkung hatten. Aus dieser Fülle sollen nur zwei Beispiele herausgegriffen werden: Er hatte einen Zeugen gefunden, der gezwungen worden war, von Auschwitz aus an Verwandte eine verharmlosende Postkarte zu schreiben, um sie dorthin zu locken. Ausnahmsweise fragte er ihn, da er erst spät Abends ankam, nicht danach, was er am nächsten Tag aussagen wollte. Am Morgen erzählte der Zeuge dann, wie bei der Selektion Frau und Tochter von ihm getrennt worden seien und der Sohn angewiesen worden sei, beiden zu folgen. Der Zeuge selbst hatte versucht, mit den Blicken seine Frau wiederzufinden, aber es gelang ihm nicht; doch das allmähliche Verschwinden seiner 2 ½ jährigen Tochter konnte er beobachten, da sie ein leuchtend rotes Mäntelchen trug. Gabriel Bach hatte kurz zuvor seiner kleinen Tochter auch ein solches Mäntelchen gekauft. Als er die Aussage des Zeugen vernommen hatte, konnte er Minuten lang nicht mehr sprechen; währenddessen waren die Fernsehkameras auf ihn gerichtet, und der Richter hatte ihn aufgefordert, mit seiner Befragung fortzufahren. …
Kurz vor Ende des Prozesses hatte er aus Dokumentarfilmen über die faschistischen Gräueltaten in den besetzten Ländern einen Zusammenschnitt anfertigen lassen und führte ihn, bevor er ihn am nächsten Tag zeigte, Eichmann vor. Während der Film lief, beobachtete er Eichmann und bemerkte nur an einer Stelle eine Reaktion von ihm: Es stellte sich heraus, dass Eichmann empört war, dass man ihm nicht Gelegenheit gegeben hatte, seinen dunkelblauen Anzug anzuziehen, bevor er in den Gerichtssaal geführt wurde, so dass er stattdessen einen grauen Pullover trug, während er den Film sah. Das war seine einzige emotionale Reaktion auf den Inhalt des Films.
Bach gab viele Bespiele für Eichmanns kompromisslose Haltung, wenn selbst Generäle oder faschistische Verbündete um Schonung für einzelne Juden bat.
Die Wirkung des Eichmann-Prozesses in Israel beschrieb er so, dass das Thema „Shoah“ von da an in den gesellschaftlichen Diskurs aufgenommen wurde; bis dahin war es gemieden worden, weil es dem zionistischen Menschenbild widersprochen hatte, dass die Juden sich gegen die Ermordung nicht gewehrt hatten. Da im Laufe des Prozesses – „unser Nürnberg“ nannte Bach ihn einmal – , der im Gegensatz zum Nürnberger Prozess auch auf Zeugenaussagen von Überlebenden basierte, auch Aktionen der Gegenwehr wie der Aufstand im Warschauer Ghetto zur Sprache gekommen waren, interessierte sich nun auch die Jugend in Israel für die Shoah.
In der BRD bekamen nun Staatsanwälte, die NS-Verbrechen verfolgen wollten, mehr Unterstützung von politischer Seite, die ihnen in den 50er Jahren versagt worden war. Die ehemalige Gerichtsreporterin, die ihr Leben der Ausreise als Kind nach Schweden zu verdanken hat, versuchte Korrekturen an diesem positiven Bild anzubringen.
Gabriel Bach bezeichnete sich an anderer Stelle als einen „unverbesserlichen Optimisten“.
Lothar Zieske