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taz, von Christian Semler und Stefan Reinecke. Interview mit der Historikerin Susanne Heim über das Pogrom am 9. November 1938.

Am 9. November 1938 wurden nach offiziellen Angaben 91 Juden Opfer des NS-Terrors. Wie viele es wirklich waren, ist unklar

taz: Frau Heim, wie hat die deutsche Bevölkerung auf die antijüdischen Pogrome am 9. November 1938 reagiert – mit Mitmachen oder Erschrecken?

Susanne Heim: Das waren überwiegend gezielte Aktionen, die von SA-Leuten und Hitlerjugend durchgeführt wurden. Allerdings gibt es kaum Dokumente, die zeigen, dass viele Deutsche wirklich entsetzt auf die Gewalt reagiert haben. Bremsend eingegriffen hat niemand. Die meisten haben einfach zugeschaut.

taz: Also war gleichgültiges Zuschauen die typische Reaktion?

Susanne Heim: In der Nacht vom 8. auf den 9. November war eine Mischung aus Schaulust und einem gewissen Erschrecken typisch. Eine Frau aus dem hessischen Bebra beschreibt in einem aufschlussreichen Brief ihren Schock angesichts der rohen Gewalt und des marodierenden Mobs. Und dann, wie die SA Lebensmittelvorräte aus dem Haus eines Juden herausholte und kommentierte: "Da sieht man mal, was der Jude so hortet." Diese Mixtur ist häufig. Man erkannte, dass den Juden übel mitgespielt wird. Allerdings reagierte man darauf nicht mit Mitleid, sondern eher mit achselzuckendem "So ist es eben" – bis hin zur Rechtfertigung des Pogroms. Es gab bei den Deutschen das diffuse Gefühl, dass nun klar sei, dass die Juden nicht bleiben konnten.

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