Hamburger Abendblatt, von Matthias Gretzschel
Hamburg. Heute vor 75 Jahren: Zur selben Zeit, als der auf Anordnung der NSDAP einberufene Reichstag die "Nürnberger Gesetze" beschließt, strömen in Hamburg die Menschen zur Kaiser-Wilhelm-Straße, wo sich vor dem Conventgarten eine Schlange gebildet hat. An diesem 15. September 1935, an dem die Diskriminierung und Verfolgung der Juden von den NS-Machthabern auf eine scheinjuristische Grundlage gestellt wird, findet in Hamburgs großem Konzert- und Veranstaltungshaus keine normale Theateraufführung statt, sondern die erste Vorstellung des Jüdischen Kulturbunds. Auf dem Programm steht das Drama "Jaakobs Traum" des österreichischen Dichters Richard Beer-Hofmann.
Nicht nur der Autor des Stücks, sondern auch Künstler und Publikum sind nach nationalsozialistischer Lesart Juden. Noch vor Kurzem waren die Schauspieler, die jetzt auf der Bühne des Conventgartens stehen, am Deutschen Schauspielhaus oder anderen Hamburger Theatern aufgetreten. Dort aber werden nur "Arier" engagiert. Jüdische Künstler dürfen nur noch vor jüdischem Publikum auftreten. Damit wollen die Nationalsozialisten die Juden aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben herausdrängen. Für sie soll es stattdessen – unter strenger Kontrolle der Behörden – ein eigenes "jüdisches" Kulturleben geben.