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Bedrohung der Freiheit künstlerischer Arbeit im öffentlichen Raum

Die Performance "Kasernenechos: Widerstand und Widerhall", organisiert von der Initiative freedom roads!, wurde gestern durch ein größeres Polizeiaufgebot abgebrochen. Den Veranstaltern droht nun einen Strafanzeige wegen einer  "unangemeldeten Demonstration" und Hausfriedensbruch.
Zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des afrikanischen Staates Tansania am 9.12.2011 hatten sich ca. 30 Menschen getroffen, um auf dem Gelände der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg-Jenfeld eine Performance in 14 Szenen durchzuführen, die kritisch an den deutschen Kolonialismus erinnern und den antikolonialen Widerstand würdigen sollte. Seit 2010 ist Hamburg Partnerstadt Dar es Salaams, Tansanias größter Stadt. Die Performance hatte ebenso zum Ziel, das eurozentrische und unwissenschaftliche Konzept des sog. "Tansania-Parks" bzw. “Geschichtsgartens Deutschland-Tansania“ kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Ähnliche Performances zu weiteren Themen haben wir auch schon andernorts in Hamburg durchgeführt. Als Modell und Ausgangspunkt dienen Formen sowohl historischer Rundgänge als auch von Demonstrationen, doch diese
werden zu Interventionen im öffentlichen Raum transformiert, die mit Körper, Raum, Sprache, Medien und Materialien künstlerisch umgehen.
Die gestrige Performance wurde von Universitätslehrkräften, StudentInnen der Geschichtsdidaktik, SchülerInnen, einem Pastor, einem Bürgerschaftsabgeordneten, einem Vertreter der Bezirksversammlung Wandsbek, Vertretern der SPD und GAL und anderen Interessierten sowie von Presseleuten besucht. Durchgeführt wurde die Performance von Tansaniern und Deutschen.
Die von Studierenden der benachbarten Bundeswehrhochschule, den Bewohnern der Gebäude des öffentlich zugänglichen "Kleinen Exerzierplatzes" (noch im Besitz des Bundes) herbeigerufenen Polizeibeamten unterbrachen die friedliche Begehung. Auf dem Gelände waren dabei drei Polizeiwagen und sechs Beamte im Einsatz, zudem ein
Bundeswehrangehöriger im Tarnanzug; außerhalb des Geländes standen noch weitere Polizeiwagen in Reserve.
Uns als VeranstalterInnen droht nun eine Strafanzeige wegen der Durchführung einer "unangemeldeten Demonstration" und wegen Hausfriedensbruch. Die "Indizien" für diese sog. „Demonstration“ – ein Transparent mit der Aufschrift "Hamburg post!kolonial", ein "Straßenschild" für die symbolische und temporäre Umbenennung des
"Kleinen Exerzierplatzes" in "Mohamed-Husen-Platz" und eine antike Flüstertüte – wurden von der Polizei genau dokumentiert. Eine Demonstration ist eine "Kundgebung unter freiem Himmel", doch nicht
einmal der Himmel ist mehr frei.
Wegen des unverhältnismäßig großen Polizeieinsatzes und des unverständlichen Vorgehens des Einsatzleiters will jetzt die GAL eine Kleine Anfrage an den Senat stellen.  

In einer Mail von Rahel Puffert hieß es gestern: „Das europäische Programm »New Patrons / Neue Auftraggeber«
(http://www.newpatrons.eu) schlägt ein neues Organisationsmodell für künstlerische Produktion vor. Dabei geht es darum, zeitgenössische Kunst in der Gesellschaft neu zu verankern: Mittels eines praktisch-kommunikativen Verfahrens machen Bürger/innen, die ein konkretes gesellschaftlich relevantes Anliegen mitbringen, ihre Fragestellung zum Anlass für ein Kunstprojekt (meist im öffentlichen
Raum).
Die massive Behinderung der künstlerischen Produktion im öffentlichen
Raum  durch die Staatsgewalt führt ein solches Ansinnen ad absurdum.

HMJokinen