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Hamburger Abendblatt, 13.07.2013, von Benjamin Doerfel und Edgar Hasse

Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs über die Pflicht, Flüchtlingen aus Afrika in der Hansestadt zu helfen.

Es ist auch ein Konflikt zwischen der nordelbischen Kirche und dem Senat: Beide haben sehr unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit den afrikanischen Flüchtlingen, die über Libyen und Italien nach Hamburg gekommen sind. Das Abendblatt sprach darüber mit Bischöfin Kirsten Fehrs.

Hamburger Abendblatt: Warum unterstützt die Nordkirche die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg?

Kirsten Fehrs: Die Kirche sieht sich in ihrem humanitärem Engagement herausgefordert. Es ist für uns Christen schon immer wichtig, dass wir Menschen, die auf der Flucht sind, Unterkunft gewähren. Im Alten Testament heißt es: "Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst." Die Grundsätze aus der Bibel prägen unsere Flüchtlingsarbeit seit Jahren.

Deshalb ist die Kirche jetzt wieder als moralische Instanz gefragt?

Fehrs: Sicher. Wir müssen in unserer Gesellschaft nicht nur auf unser direktes Umfeld blicken. Wir stehen vor einem bundesweiten, vor allem aber europäischen Problem.

Wie viele Flüchtlinge aus Lampedusa haben jetzt ein Obdach in einer Hamburger Kirche gefunden?
Fehrs: Es sind in der St.Pauli-Kirche rund 80 Personen. Das humanitäre Engagement dieser Kirchengemeinde und der 40 Ehrenamtlichen ist enorm.
Gibt es weitere Kirchengemeinden, die Lampedusa-Flüchtlinge aufnehmen?
Fehrs: Ich habe einen Brief an alle Gemeinden geschrieben – mit der Bitte, diese Flüchtlinge zu unterstützen. Vereinzelt findet das jetzt auch statt.
Die Deutsche Welle meldet, dass es eine weitere Gemeinde gibt. Aus Angst vor rechtsradikalen Drohungen soll das aber nicht öffentlich gemacht werden. Sind Ihnen solche Drohungen bekannt?
Fehrs: In dem Maße, wie die Flüchtlinge auch medial in den Mittelpunkt rückten, sind natürlich auch intolerante Menschen aktiv geworden. Wir müssenleider mit fremdenfeindlichen Angriffen rechnen. Aber wir halten das aus.
Ende Mai haben Sie auf eine zeitnahe Lösung für die Flüchtlinge gehofft. Sechs Wochen später ist das nicht abzusehen…
Fehrs: Wir werden das humanitäre Engagement weiter aufrechterhalten. Mehr können wir als Kirche nicht tun. Wir bieten den Flüchtlingen darüber hinaus unabhängige Rechtsberatung an. Man muss sehen: Wir haben nicht nur ein Hamburger, sondern ein europäisches Problem.
Nämlich?
Fehrs: Vor den Grenzen Europas spielt sich eine Flüchtlingskatastrophe ab. Unsere westliche Gesellschaft ist mittelbar daran beteiligt, dass es diese Flüchtlingswelle gibt.
Inwiefern?
Fehrs: Durch unseren Lebensstil zum Beispiel. Was ein eigenes Interview-Thema wäre. Dazu kommt, dass die aktuelle Rechtslage in der Europäischen Union nur einen relativ schmalen Korridor für Handlungsmöglichkeiten bietet – auch für den Hamburger Senat.
Handelt der Senat unbarmherzig, wenn er in der Rückkehr der Flüchtlinge die einzige Alternative sieht?
Fehrs: Wir bitten den Senat schon seit langer Zeit, die Möglichkeiten, die es gibt, auszuschöpfen. Denn die Rechtslage ist nicht eindeutig, wie über 240 richterliche Entscheidungen gegen Rückführungen von Flüchtlingen nach Italien zeigen.
Bürgermeister Olaf Scholz beruft sich auf das Dublin-II-Abkommen, das besagt, dass die Flüchtlinge nach Italien zurückmüssen. Denkt er da zu einfach?
Fehrs: Der Senat kann gar nicht anders handeln, denn der rechtliche Rahmen ist sehr eng. Ich hoffe aber, dass noch nicht alles ausgeschöpft ist.
Was fordern Sie von der Politik?
Fehrs: Wir brauchen dringend eine Änderung der Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene. Dass die Flüchtlinge jetzt hier sind und nicht mehr in Italien, ist ein Indikator dafür, dass die bisherigen Regelungen nicht funktionieren. So muss stärker überprüft werden, ob ein Land überhaupt menschenwürdige Standards bietet, um die Flüchtlinge aufzunehmen. In Italien etwa und auch in Griechenland ist das vielfach nicht der Fall.
Gibt es in den Kirchen einen neuen Vorstoß, um die Politik davon zu überzeugen?
Fehrs: Es gibt derzeit Bemühungen auf EKD-Ebene. Auch dass der Papst in Lampedusa Gesicht gezeigt hat, kann man nur begrüßen.
Die Kirche bietet individuelle Beratungen an. Die Gruppe der Flüchtlinge tritt aber nur als Gemeinschaft auf und fordert eine einheitliche Lösung. Wie soll das funktionieren?
Fehrs: Es kann neben einer allgemeinen Gruppenberatung nur eine Einzelberatung geben – sonst können wir nicht helfen. Die Forderung nach einer Gesamtlösung für alle, auch wenn ich sie gut verstehe, wird nach meiner Einschätzung der politischen Lage keinen Erfolg haben.
Wie beeinflusst die Flüchtlingsproblematik Ihren pastoralen Alltag?
Fehrs: Ich werde häufig angesprochen und spreche es auch selber an. Viele wissen auch nicht, dass es Zusammenhänge gibt zwischen unserem Leben hier und der Flüchtlingsbewegung dort. Beeindruckend finde ich es, wenn alte Menschen ihre eigenen Flüchtlingserfahrungen nach dem Kriege erzählen. Auch die Familie meiner Mutter musste nach 1945 in den Westen fliehen.
Wie bewerten Sie das Engagement der Hamburger Bürgerinnen und Bürger für die Flüchtlinge?
Fehrs: Ich bin erstaunt, wie vielen Menschen aus allen Bereichen der Stadt die Flüchtlinge nicht gleichgültig sind. Seit Jahren haben wir versucht, auf das Problem aufmerksam zu machen. Da haben sich nur wenige darum gekümmert. Jetzt aber merke ich, wie positiv nicht nur evangelische Gemeinden reagieren.
Im September steht die Bundestagswahl an. Glauben Sie, dass es davor zu einer Lösung kommt?
Fehrs: Ich denke, dass der Senat nicht daran interessiert ist, brachial einzugreifen, so wie das in anderen Städten passiert ist. Hier befinden sich Menschen in einer Kirche. Und es wird sicher nicht dazu kommen, dass der Staat diesen Kirchraum gewalttätig betritt.
Die Angst vor einem möglichen Polizeieinsatz bei Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung ist also unbegründet?
Fehrs: Wir sind in guten Gesprächen mit den Behörden. Angst ist für einen Christenmenschen ohnehin kein guter Ratgeber.
Läuft es schließlich auf eine Abschiebung hinaus?
Fehrs: Es ist eine beengte Situation. Da müssen wir uns gar nichts vormachen. Ich wünsche mir, dass der Senat aufmerksam die positiven Entwicklungen bei den Flüchtlingen wahrnimmt. Auf eine Neuregelung der europäischen Rechtslage können die Lampedusa-Flüchtlinge sicherlich nicht warten.