taz, Christian Jakob
Aktivisten und Flüchtlinge verfassen ein Manifest für ein offenes Europa. Sie treffen sich dafür an einem symbolischen Ort – auf Lampedusa.
Als er das erste Mal hier ankam, wollte Friday Emitola alles: eine Arbeit, eine Zukunft, ein neues Leben. Exakt 900 Tage ist das her. Nichts davon hat er bekommen. Deswegen ist er heute wieder da. Er steht im Konferenzraum des nagelneuen Flughafens von Lampedusa; es ist der größte Saal, den es auf der winzigen Mittelmeerinsel gibt, und er nimmt das Mikrofon. „Keiner meiner Träume hat sich erfüllt“, sagt Emitola. „Meine Jahre in Europa waren Jahre des Leids und Jahre der Gewalt.“
Der Raum ist brechend voll. Etwa 150 Menschen aus ganz Europa und Tunesien sind gekommen. Wenn sie aus dem Fenster sehen, ist da am Ende der Kalkhügel die Isola dei Conigli, die Kanincheninsel, vor der am 3. Oktober 368 Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea ertranken. Jetzt regnet es in Strömen, der Wind bläst über das Meer. Es ist so rau, dass selbst die großen Fähren aus Sizilien oft nicht auslaufen können. Vielleicht acht Wochen wird das noch so bleiben. Im Frühjahr aber werden die Flüchtlingsboote aus Nordafrika wieder kommen. Und dann, so fürchten hier alle, wird das Sterben weitergehen.
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