Uncategorized

scharf-links, Frank Behrmann

Inzwischen traut sich der rechte Parteiflügel bereits, mit Positionen aufzutreten, die an Versatzstücke der nationalsozialistischen Ideologie erinnern. Björn Höcke, Vorsitzender der thüringischen AfD, sagte auf einer Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar“.[1] Der konkrete Kontext dieser Äußerung wurde indes nicht bekannt. Die Schlussfolgerungen aus dieser Logik mag sich jedeR selbst ausmalen. Unmittelbar folgerte Höcke lediglich, dass die Rede vom christlich-jüdischen Abendland für ihn nicht nachvollziehbar sei.
André Poggenburg, Mitglied des Bundesvorstands und Vorsitzender Sachsen-Anhalt, verteidigte in einem Kommentar auf der Facebook-Seite des Landesverbands einen positiven Bezug auf die „Volksgemeinschaft“. In seinem Weihnachtsgruß hatte der Landesverband u.a. von seiner „Verantwortung für die Volksgemeinschaft“ schwadroniert.
„Volksgemeinschaft“ – dieser Begriff steht synonym für die Gesellschaft des Nationalsozialismus. Aus der reaktionären Ideologie der rechtsbürgerlichen Parteien Weimars von einer Gemeinschaft aller Deutschen, die vom Klassenkampf und anderen innergesellschaftlichen Widersprüchen befreit wäre, zimmerten sich die Nazis die massenmörderische Vorstellung eines Staates ganz nach der eigenen Weltanschauung. Nach 1945 nahmen nur noch Neonazis positiven Bezug auf die „Volksgemeinschaft“.
Auf einen Hinweis auf diese Zusammenhänge antwortete Poggenburg persönlich: „Und heute sollen einige völlig unproblematische und sogar äußerst positive Begriffe nicht benutzt werden. Das lassen wir uns nicht gefallen, denn wirkliche Freiheit fängt bei der Freiheit der Sprache an!“
Höckes Vortrag über das unterschiedliche Fortpflanzungsverhalten verschiedener Menschengruppen wurde breit thematisiert (und soll hier deshalb nicht erneut dargestellt werden). Entscheidend ist, dass Höcke die unterschiedlichen Geburtenraten in Afrika und Europa genetisch erklärte. Ein unmissverständlicher Rückgriff auf die unselige Rassenbiologie.[2]
Petry macht- und hilflos
Der letzt genannte Fall steht derart weit außerhalb dessen, was gesellschaftlich als gerade noch tolerabel gilt, und wurde zugleich so breit in den Medien behandelt, dass der Bundesvorstand (BuVo) der AfD handeln musste. Oder besser: Hätte eigentlich handeln müssen. Denn nach mehreren Konferenzen kam dabei nicht mehr als eine Zurückweisung von Höckes Thesen heraus sowie die Bitte, in sich zu gehen, ob er wirklich zur AfD passe. Keine Rüge, Abmahnung oder Rücktrittsforderung – und erst recht keine Absetzung des Parteirechtaußen.[3]
Immerhin, den Rücktritt forderte dann die Parteivorsitzende Frauke Petry in einem Interview mit dem MDR.[4] Petry hatte sich mit ihrem Wunsch einer klareren Absetzung von Höcke im BuVo nicht durchsetzen können. Gegen sie standen nicht nur die Rechten um Alexander Gauland und Poggenburg, sondern auch ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen, der sich gerne als Gegner der Rechtstendenzen in der Partei darstellt, aber wenn’s drauf ankommt, den Konflikt meidet. Sein baden-württembergischer Landesverband befindet sich im Wahlkampf – und den sieht er durch innerparteiliche Konflikte im Falle eines entschiedenen Vorgehens stärker gefährdet als durch die öffentliche Empörung, weil Höcke weiter geduldet wird.
So preschte denn Petry auf eigene Faust vor und „vergaß“ dabei zu erwähnen, dass die Rücktrittsforderung ihre persönliche Meinung ist und keineswegs durch den Vorstandsbeschluss gedeckt. Prompt wurde sie von Gauland dafür gerüffelt. Es geht also wieder hoch her.
Beim Essener Bundesparteitag vor einem halben Jahr, auf dem der Lucke-Flügel eine schwere Niederlage erlitt und die AfD verließ, wurde ein Kompromiss zwischen den verbliebenen Flügeln gefunden: Der (kleinere) rechtsextreme Flügel darf in der Partei bleiben und kann tun und lassen, was er will, solange er die Selbstdarstellung der AfD als konservativer, aber demokratischer Partei nicht gefährdet. Solange er also das Erscheinungsbild nicht prägt. Die Leute um Höcke haben diesen Konsens längst gebrochen – und beginnen Stück für Stück Machtpositionen in der AfD zu besetzen, ziehen aber auch durch schrille Äußerungen die Aufmerksamkeit auf sich.
Dabei hat zumindest Höcke mit seiner Strategie Erfolg. Zu Demonstrationen gegen das Asylrecht konnte er mehrfach mehrere Tausend Menschen nach Erfurt mobilisieren – mehr sogar als auf die zentrale AfD-Demo nach Berlin kamen. Das hat Höcke innerparteilich gestärkt. So haben etliche FunktionärInnen, die ursprünglich eher zum Petry-Flügel zu zählen waren, die Fronten gewechselt. Allen voran Gauland, der gemerkt hat, dass sich mit radikaleren Tönen insbesondere im Osten Deutschlands WählerInnenstimmen gewinnen lassen.
Nachdem Höckes Äußerungen bekannt geworden waren, hatte es auch unter AfD-FunktionärInnen öffentlichen Widerspruch gegeben. Doch davon haben sich einige still und leise wieder verabschiedet – ein deutlicher Hinweis auf die innerparteilichen Kräfteverhältnisse. Meuthens Rückzieher bei der Sanktionierung Höckes haben wir bereits erwähnt. Die Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Uwe Junge und Marcus Pretzell, hatten auf ihren Facebook-Seiten unmissverständliche Kommentare zu Höcke gepostet. Nach einem Tag haben beide ihre Einträge sang- und klanglos wieder gelöscht.
Streit um den Kurs
Petry ist also zunehmend isoliert. Viele unken bereits jetzt, dass sie nach den Landtagswahlen im Frühjahr von Höcke abgelöst werde. Gerüchtweise soll sie bereits mit Rücktritt gedroht haben, sollte ihrem Willen nicht entsprochen werden. Aber dass sie diese Drohung wahr macht, glaubt sowieso keiner.
Der einzige, der noch im Sinne Petrys gegen Höcke schießt, ist der abgehalfterte ehemalige Vorsitzende Konrad Adam, der in mehreren Interviews und Artikeln erklärt hat, dass durch Höcke eine weitere Parteispaltung drohe und der deshalb austreten solle.[5] Nun dürfte Adam ein Ausschlussverfahren ins Haus stehen. Denn bereits vor zwei Wochen hatte ihm sein Kreisverband eine Abmahnung geschickt, weil er via Bild-Zeitung den neuen Rechtskurs der AfD beklagt hatte. Im Falle weiteren parteischädigenden Verhaltens würden weitere Maßnahmen folgen.
Nach Monaten der Ruhe vor innerparteilichen Auseinandersetzungen, die durch hervorragende Wahlumfragen (die AfD liegt derzeit zwischen 8 und 10 Prozent) begünstigt wurde, brechen die Konflikte jetzt wieder offen aus. Vor allem, weil der rechte Flügel mit Positionen vorprescht, die alle, die an der Chimäre einer bürgerlichen AfD festhalten wollen, nicht dulden können. Ihre Strategie zielt darauf, unzufriedene Unions-WählerInnen zu gewinnen – das aber funktioniert nicht als rechtsextreme Partei. Immerhin sollen im Zuge der „Flüchtlingskrise“ 10.000 aus der CDU ausgetreten sein. Aber kaum einer von ihnen ist der AfD beigetreten.
Noch hoffen die Gemäßigteren, dass Höcke mit gutem Zureden „zur Vernunft“ kommen werde. Sie übersehen, dass dessen und anderer Äußerungen keine unbedarften Ausrutscher sind, kein Vergreifen in der Wortwahl. Die Rechtsaußen verfolgen eine Strategie, um bislang geächtete Ideologeme gesellschaftsfähig zu machen. Deshalb werden Höcke, Poggenburg und die Patriotische Plattform (ein organisatorischer Fokus der extremen Rechten in der AfD) auch nicht aufhören, ihre Provokationen zu setzen.
Dieser Streit ist in keiner Weise gelöst. Und selbst wenn bis zu den Landtagswahlen ein Formelkompromiss gefunden werden sollte, ist doch sicher, dass diese Brüche und Widersprüche die AfD in den nächsten Monaten fest im Griff haben werden.
 

[1]  www.bild.de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/lasst-diesen-afd-lehrer-nie-wieder-auf-kinder-los-43844200.bild.html
[2]  Die Abschrift der entscheidenden Passage der Höcke-Rede findet sich hier: https://andreaskemper.wordpress.com/2015/12/15/forderte-hoecke-bereits-2012-einen-biologischen-rassismus/
[3]  https://www.alternativefuer.de/2015/12/18/statement-des-bundesvorstandes-der-afd/
[4]  www.mdr.de/nachrichten/afd-hoecke-petry-distanziert-sich100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html
[5]  www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-konrad-adam-fordert-bjoern-hoecke-zum-austritt-auf-a-1069365.html

Quelle: http://www.scharf-links.de/46.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=54351&cHash=8576c8c3f6