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Die Welt, von Per Hinrichs

Eine 93-jährige Nazi-Aufseherin wird angeklagt, verraten hat sie eine Nachbarin. Von Einsicht oder Reue ist nichts zu merken. Wie die Hamburger Staatsanwaltschaft ein NS-Verbrechen aufklären will.

"Ich bin sicher, dass kein Mensch auf dieser Erde jemals angemessen den Schrecken und den Horror beschreiben kann, den diese armen Menschen erlebten." So beginnt eine der ersten britischen Dokumentationen über das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Die Soldaten, die diesen Ort im April 1945 betraten, wähnten sich in der Hölle auf Erden. Meilenweit war der Gestank verbrannter Leichen zu riechen, überall lagen Tote, gestapelt in Gruben und auf Haufen; ausgemergelte, gequälte, von Typhus gepeinigte Menschen wankten den Befreiern entgegen. "Bei 6000 haben wir aufgehört, die Leichen zu zählen", sagt der Kommentator.

In einer Bildsequenz zeigt die Kamera einen Lastwagen, in dem weibliche KZ-Aufseherinnen weggefahren werden. Unter ihnen ist auch eine junge Frau: Hilde Lisiewicz, damals 22 Jahre alt. Sie wurde im ersten "Belsen trial", den die britische Armee in Lüneburg gegen frühere SS-Leute ansetzte, zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt – allerdings nicht wegen einer konkreten Tat, sondern wegen ihres Dienstes in den Wachmannschaften allgemein. Ende Januar sprach sie an der Haustür kurz mit einem Reporter der "Welt am Sonntag". Doch das ernüchternde Interview förderte nur zutage, dass die jetzt 93-jährige Hilde Michnia, wie sie nach ihrer Heirat heißt, nichts bereut und nichts einsieht.

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