Hamburger Abendblatt vom 15. April 2010, Matthias Gretzschel
"Der Jesusknabe" von Max Liebermann wurde als hässlicher, naseweiser Juden-Junge verunglimpft. Jetzt zeigt die Kunsthalle seine Geschichte.
Nach dem Passahfest kehrt die Familie nach Nazareth zurück, doch der zwölfjährige Jesus ist – anders als Maria und Josef annehmen – auf dem Rückweg nicht mit Gleichaltrigen unterwegs, sondern unauffindbar. Voller Sorge kehren die Eltern nach Jerusalem zurück und finden ihren minderjährigen Sohn dort im lebhaften theologischen Disput mit den Schriftgelehrten im Tempel, der Elite des jüdischen Volkes.
Die berühmte Geschichte des intellektuell frühreifen Zwölfjährigen, die im zweiten Kapitel des Lukas-Evangeliums erzählt wird, ist ein besonders beliebtes Thema der christlichen Ikonografie, das schon in mittelalterlichen Glasmalereien, auf Holzschnitten von Dürer, Radierungen von Rembrandt oder auf römischen Barockaltären dargestellt wurde. Im Jahr 1879 wählte auch Max Liebermann dieses Motiv für ein Gemälde, an dem sich noch im selben Jahr ein großer Skandal entzündete. Das Bild, das zu Liebermanns Hauptwerken zählt, steht jetzt im Mittelpunkt einer nicht nur kunstgeschichtlich, sondern auch kulturhistorisch interessanten Ausstellung, die die Kunsthalle unter dem Titel "Der Jesus-Skandal. Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik" im und vor dem Saal der Meisterzeichnung präsentiert.