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Liebe Familie Yozgat,
Wir haben über die Presse erfahren, dass Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) letzte Woche (Donnerstag, den 29.03.18) den Verzicht auf die für den 6. April geplante Gedenkveranstaltung am 06.April angekündigt hat. Als Hintergrund werden „Sicherheitsbedenken“ benannt. Presseberichten zufolge sei die Absage in Absprache mit der Familie Yozgat erfolgt.
Wir respektieren ihre Entscheidung und erklären uns solidarisch.
Wir haben auch die Erklärung eines Sprechers der Polizei Kassel zu Kenntnis genommen, dass es im Vorfeld keine konkreten Drohungen gegen die Veranstaltungen gab: „Ein Sprecher der Polizei Kassel erklärte (…) Konkrete Drohungen gegen die Veranstaltungen habe es nicht gegeben. Der Sprecher betonte, nicht die Polizei, sondern die Stadt habe die Gedenkfeier abgesagt. Die Polizei wäre in der Lage gewesen, die Feier zu schützen. Man bereite sich auch nach der Absage weiter vor, weil Veranstaltungen anderer nicht auszuschließen seien.“ (Quelle: http://www.hessenschau.de/gesellschaft/gedenkveranstaltung-fuer-nsu-opfer-halit-yozgat-abgesagt,gedenkveranstaltung-abgesagt-100.html)
Zwei Erklärungen aus zwei zuständigen Stellen, die sich widersprechen, geben uns zu denken. Wir finden die Entscheidung des Oberbürgermeisters Christian Geselle absurd und vermuten, dass hinter seiner Entscheidung eine politische Absicht steckt. Die Fortsetzung dessen, womit wir im Zusammenhang des NSU-Komplexes jahrelang zu tun hatten: verdrängen, vertuschen, vergessen.
Halit wurde unter staatlicher Aufsicht des Verfassungsschutz-Mitarbeiters Andreas Temme ermordet. Herr Temme und das Bundesamt für Verfassungsschutz Hessen stehen unter Druck, weil die zuständigen Behörden nichts dazu beigetragen haben, den Mordfall zu aufzuklären. Sie, Herr Yozgat, haben dazu zutreffend gesagt, was am 6. April 2006 in Kassel geschah: „Entweder Andreas Temme hat gesehen, wer die Täter waren, oder er hat sie geführt, oder er selbst hat die Tat begangen.“ Zum Ende des Prozesses sagte Ayşe Yozgat dem Münchner Gericht: „Sie haben wie Bienen gearbeitet, aber keinen Honig produziert. Es gibt kein Ergebnis“. Der Prozess wird zur Verurteilung der Angeklagten führen, aber keine vollständige Aufklärung der komplexen Hintergründe und Verflechtungen der NSU Mordtaten mit bundesweiten Naziszenen und staatlichen Geheimdiensten erbringen.
Der NSU verübte 1999 bis 2010 so weit bisher bekannt zehn Morde und drei Sprengstoffanschläge. Nach 5 Jahren des Prozesses gegen fünf Täter_innen des NSU vor dem Oberlandesgericht München geht in diesem Jahr die „juristische Aufarbeitung“ zu Ende. Wir wissen, dass der NSU-Komplex nach wie vor weiter existiert und mit dem Urteil in München nicht aufgeklärt werden wird. Deshalb sagen wir vor dem NSU- Urteil: Kein Schlussstrich! Die zuständigen Stellen/Behörden wollen nach dem NSU –Urteil einen Schlussstrich ziehen. So lässt sich die Entscheidung des Herrn Oberbürgermeisters der Stadt Kassel dechiffrieren…
Dass der Mord an Halit Yozgat in Anwesenheit des Verfassungsschutz-Mitarbeiters Andreas Temme geschah und dem deshalb besondere Aufmerksamkeit zukommt, weil die kritische Öffentlichkeit besonders nach Kassel und Bundesamt für Verfassungsschutz Hessen schaut, stört die dafür zuständigen Stellen, die versagt haben. Mit der Absage der Gedenkveranstaltung am 6. April 2018 wollen die zuständige Stellen von ihrem eigenen Versagen ablenken, indem sie von „Sicherheitsbedenken“ sprechen.
Es ist ein hinterhältiges Spiel, was in Kassel passiert. „Man hätte die Veranstaltung durchführen können, aber eben nicht in einem würdigen Rahmen, begründete der Sprecher die Entscheidung.“
„Unwürdig“ ist nur, dass die zuständigen Stellen erneut die gleichen Szenarien bemühen, um die betroffenen Menschen, Angehörigen und die Öffentlichkeit in eine bekannt falsche Richtung zu lenken. Sie manipulieren, wie der Verfassungsschutz und andere Behörden es jahrelang gemacht haben, indem sie hinter den NSU-Morden jahrelang irgendwelche „Konflikte“ zwischen Türken und Kurden, „kriminelle Machenschaften“ oder sonstige Geschichten vermuten oder erfinden. Dass die Gedenkveranstaltung in Kassel wegen türkisch-kurdischer Konflikte gefährdet sei, ist eine absurde Täuschung und ein erneuter Spaltungsversuch. Welche Gedenkveranstaltung, die je von Angehörigen und Initiativen organisiert war, wurde bisher von wem gestört? Wir haben seit Jahren viele Gedenkveranstaltungen organisiert und ohne irgendwelche Störungen durchgeführt.
Wenn es auf die Absage der Stadt Kassel keine öffentliche Reaktion oder Widerspruch gibt, werden in Zukunft auch andere staatliche Stellen solche und weitere Spielchen inszenieren. Das Signal aus Kassel bedeutet nichts anderes, als weiter so wie bisher zu agieren: vertuschen, verdrängen, vergessen.
Das wollen wir als Initiativen nicht akzeptieren…
Wir bekunden unsere Solidarität mit der Familie Yozgat…
Solidarische Grüße von Initiativen, Familienangehörigen und einzelnen Aktivisten u.a.
Faruk Arslan, der bei dem rassistischen Brandanschlag in Mölln 1992 seine Mutter, seine Tochter und seine Nichte verloren hat.
Initiative zu Gedenken an Ramazan Avci aus Hamburg
Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş aus Berlin
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh