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Hamburger Abendlatt, 03.03.2012, Jan-Eric Lindner

Harburg. Warum die Rechtsradikalen sich die Eißendorfer Straße in Harburg aussuchten, wieso sie für ihre gespenstische Aktion den 17. Dezember wählten – darüber können die Ermittler nur spekulieren. Fakt ist: An jener Straße und zu jener Zeit trat erstmals in Hamburg ein Phänomen auf, das gleichermaßen beängstigend wie erschreckend ist. Etwa 35 Anhänger einer Bewegung mit dem Namen "Die Unsterblichen" zogen mit Totenmasken, schwarzen Umhängen und Fackeln in Dreierreihen und im Gleichschritt durch die Straße, skandierten Nazi-Parolen, bis die Polizei den Spuk beendete. Am Freitag durchsuchten mehr als 100 Polizeibeamte die Wohnungen von jenen 17 Teilnehmern des Aufzuges, deren Personalien sie hatten feststellen können. Sie messen dem Ereignis große Bedeutung bei. Denn es war bundesweit bereits das 17. Ereignis dieser Art seit Mai 2011. Die Ermittler erhoffen sich Hinweise auf Organisationsform und Hintermänner der "Unsterblichen".


"Wir haben das Problem innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden erörtert", sagt Detlev Kreuzer, Leiter der Staatsschutzabteilung bei der Kripo Hamburg. Das erste Ergebnis lautet: Detaillierte Kenntnisse über dieses neue Auftreten der rechtsradikalen Szene sind bislang bundesweit Mangelware. Was man bisher weiß, ist dies: Im Mai 2011 gab es den ersten Aufzug dieser Art im sächsischen Bautzen. Sieben weitere Fackelzüge fanden in weiteren Kleinstädten des östlichsten Bundeslandes statt. Wenig später weitete sich das Phänomen auf das Bundesgebiet aus. Auch in Niedersachsen marschierten schon "Unsterbliche", und zwar im Mai 2011 in Wunstorf (allerdings nur zu sechst), und im Juni 2011 in Hannover, dort immerhin mit 35 Teilnehmern.

Die mutmaßlichen Neonazis, die sich in Harburg versammelt hatten, sind zum Teil bereits polizeibekannt, unter anderem wegen ihrer Mitgliedschaft in der in Hamburg erstarkten "Weiße Wölfe Terrorcrew". Sie stammen aus den Stadtteilen Eißendorf, Wandsbek sowie den niedersächsischen Randgemeinden Neu Wulmstorf, Tostedt, Buchholz, Schneverdingen, Wistedt. Drei weitere Verdächtige wohnen in Coppenbrügge, Tarmstedt, Hannover und Lilienthal. Es handelt sich um drei Frauen und 14 Männer, zwei von ihnen sind Hamburger, die anderen Niedersachsen. Die Frauen sind zwischen 23 und 40 Jahre alt, die Männer im Alter zwischen 18 und 40. In einem Großteil der 17 Objekte, in denen die Ermittler zeitgleich um 6 Uhr klingelten, befand sich belastendes Material. Dabei handelt es sich zumeist um weiße "Totenmasken" aus dem Kostümhandel, Nazi-Propaganda in Form von CDs, Aufklebern und Literatur, Devotionalien wie Fahnen und Banner. Außerdem Gaspistolen, Messer und Schlagstöcke sowie Pulver, das nach ersten Erkenntnissen der Kriminaltechniker als Sprengstoff verwendet werden kann.

"Es handelt sich hier gewiss nicht um spontane Flashmob-Aktionen", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. "Wir ermitteln wegen möglichen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, möglicherweise in Kürze auch wegen Sprengstoffdelikten. Es wurde beachtliches Beweismaterial sichergestellt." Nach Ansicht von Detlev Kreuzer könnte es sich bei den "Unsterblichen" um mehr als ein kurzzeitiges Phänomen handeln: "Das ist keine Eintagsfliege, das ist eine konzertierte Aktion. Und es geht nicht um Spaß oder etwas Harmloses, sondern um die Zerschlagung der Demokratie, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit", sagt der Chef-Ermittler. Mit politischer Überzeugung habe das Verhalten der Mitglieder wenig zu tun. Vielmehr werde schlichter Ausländerhass vermittelt, völkisches Gedankengut verbreitet. Gerade die Masken, die Anonymisierung, mache diese neuartige Erscheinungsform des Rechtsradikalismus möglicherweise für junge Menschen attraktiv, sagt Kreuzer. "Zum Glück haben wir in Harburg 17 Personen aus dieser Anonymität holen und ihnen im wahrsten Wortsinn die Maske vom Gesicht reißen können." Dahinter hätten sich überwiegend Allgemeinkriminelle verborgen, die sich im vermeintlichen nationalen Widerstand unter anderem der "Weißen Wölfe" verstecken.

Niedersachsens Staatsschutz-Chef Helmut Pieper wies darauf hin, dass es sich bei den "Unsterblichen" nach Erkenntnissen seiner Behörde nicht um Kameradschaften klassischen Zuschnitts handele, sonder eher um lockere Gruppierungen, die sich per Internet, Twitter und SMS verständigen.

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