von Lothar Zieske
Seit einem Jahr sind diese beide Themen in der öffentlichen Diskussion kaum mehr voneinander zu trennen. Leider hat es den Anschein, dass der politisch interessierte Teil der Bevölkerung mit dieser Doppelthematik medial überfüttert ist oder sich jedenfalls so fühlt. Jedenfalls waren zwei Veranstaltungen zu diesen Themen, die sich gegenseitig ergänzten, nur mäßig besucht.
Die Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Verfassungsschutz auflösen oder reformieren?“ (1. 11.) erhielt ihren besonderen Charakter dadurch, dass Steffen Dittes (Referent für Antifaschismus der LINKEn im Thüringer Landtag) aus dem Zentrum des Skandals berichten konnte. Dittes hat feststellen können, dass auch bei CDU und SPD das Erschrecken über die Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit der NSU-Thematik so groß war und ist, dass inzwischen gedankliche Tabus gefallen zu sein scheinen, von denen es nicht zu erwarten gewesen wäre. Beispiel: Niemand – so Dittes – rege sich mehr darüber auf, wenn öffentlich die These vertreten werde, der Verfassungsschutz trage direkte Verantwortung für die NSU-Verbrechen.
Christiane Schneider (innenpolitische Sprecherin der LINKEn in der Bürgerschaft) betonte, dass ein vergleichbarer Skandal um den Verfassungsschutz in Hamburg noch nicht vorgekommen sei, so dass entsprechende Entwicklungen wie in Thüringen nicht zu beobachten seien.
Vergleichbare Skandale: sicher nein! Was aber herauskommt, wenn jemand sich 20 Jahre lang mit dieser Thematik beschäftigt, zeigte der Vortrag, den Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts am 23. Oktober hielt. Motto: „Ein Jahr nach Aufdeckung des ‚NSU’-Terrors“. Krebs ging von dem Anspruch aus, an dem der Verfassungsschutz sich selbst misst, nämlich, ein „Frühwarnsystem“ für die Bedrohung der Demokratie bereit zu stellen. Er unternahm es, an Hand folgender Fragen zu überprüfen, ob er diesen Anspruch erfüllt:
– Was wusste der Hamburger Verfassungsschutz über die rechte Szene?
– Was hat er davon öffentlich gemacht?
– Was hat er im Kampf gegen Rechts geleistet?
Wenn diese Fragen beantwortet wären, – so sein Gedankengang – könne die übergeordnete Frage beantwortet werden, ob der Verfassungsschutz eine nützliche Einrichtung oder ob er abzuschaffen sei.
Er wies dann an vielen Beispielen nach, dass der Hamburger Verfassungsschutz seinen von ihm selbst gesetzten Anspruch nicht erfüllt, sondern eine Handlungsbereitschaft gegen Rechts nur signalisiert, in Wirklichkeit aber Entwicklungen wie die Aktion „Rechtsum“ (Versuch von Rechten, die Bundeswehr zu unterwandern) nicht in seinem Bericht aufführte oder die Erkenntnisse über die Tätigkeit einer Wehrsportgruppe in einem internen Bericht vergrub. (Die Übungen dieser Gruppe in Hetendorf hätten gar nicht stattfinden können, wenn der Verfassungsschutz dem Käufer des Geländes, der rechten Galionsfigur Jürgen Rieger, nicht zuvor einen „Persilschein“ ausgestellt hätte.)
Auskünfte wurden immer wieder unter dem Vorwand verweigert, durch diese würde das Staatswohl gefährdet. Betreiber von Gaststätten wurden von der Antifa und nicht vom Verfassungsschutz informiert, wenn Rechte Veranstaltungssäle mieten wollten. (So sollte 2005 mitten auf St. Pauli ein Rechtsrockkonzert stattfinden.)
Am Ende dieser Veranstaltung wurde die Frage gestellt, ob Unfähigkeit oder ideologisch begründete Blindheit oder gemeinsame politische Zielsetzung die bekannte desaströse Bilanz der Arbeit des Verfassungsschutzes erkläre. Konsens herrschte darüber, dass Unfähigkeit allein als Erklärung nicht ausreiche.
In der anderen Veranstaltung („Verfassungsschutz auflösen oder reformieren?“) drehte sich die Diskussion vor allem darum, ob die Forderung nach Auflösung des Verfassungsschutzes an sich sinnvoll sei. Christiane Schneider warnte in dieser Hinsicht vor Illusionen. Die Stichworte „Vergeheimdienstlichung“ der Polizei und „Verpolizeilichung“ des Verfassungsschutze deuteten die Problematik an, dass die Forderung nach einer bloßen Auflösung des Verfassungsschutzes zu kurz griffe.
Die Diskussion scheint erst an ihrem Anfang zu sein. Lothar Zieske